Der Dornier DO-960 Analogrechner

 

Die Dornier DO-960

Der Name "Dornier" wird meist mit Flugzeugen in Verbindung gebracht - nicht zuletzt auch mit hochinnovativen Flugzeugen wie der senkrecht startenden und landenden DO-31 VTOL und anderen. Weniger bekannt ist jedoch, dass die gleiche Firma auch Analog- und Hybridrechner entwickelt und gefertigt hat, die vielen anderen - ähnlichen - Systemen überlegen waren. Die im folgenden näher beschriebene DO-960 ist das letzte Modell dieser Entwicklungen und stellt einen extrem leistungsfähigen Hybridrechner dar.

Dornier begann die Entwicklung eigener Analogrechner, als sie mit der Entwicklung senkrecht startender und landender Flugzeuge (hierunter nicht zuletzt die bereits genannte DO-31) begannen, da die hierbei auftretenden mathematischen Probleme mit den Digitalrechnern, die am Markt verfügbar waren, nicht, beziehungsweise nicht mit vertretbarem Kosten- und Zeitaufwand lösbar waren.

Bei der DO-960 handelt es sich um das letzte System, das von Dornier entwickelt und gefertigt wurde (zumindest meines Wissens nach). Die DO-960 ist ein Hybridrechner, besteht also aus einem komplexen Analogrechner, der eng mit einem Digitalrechner verzahnt ist, der neben der Ablaufsteuerung auch die Generierung komplexer Funktionen (auch solcher, die von mehr als einer Variablen abhängen) etc. übernehmen kann.

Als ich das System bekam, bestand es aus zwei miteinander verschraubten Racks, von denen leider nur eines mit Analogeinschüben bestückt war. Darüber hinaus stellte sich heraus, dass die digitalen Module über beide Racks verteilt installiert waren und der Digitalrechner aus einem PC mit einer 20 MB MFM-Platte bestand, wozu es leider auch keinerlei Dokumentation gab, so dass das System so erst einmal nicht brauchbar war und vor allem der PC als Steuerrechner ersetzt werden musste.

Nach langer und ausführlicher Lektüre der vorhandenen Dokumentation wurde klar, dass Dornier ursprünglich zwei Versionen dieses Hybridsystems auslieferte: Ein Einstiegsmodell, das einen eingebauten Digitalrechner auf Basis des 8080-Prozessors mit einem BASIC-Interpreter im ROM verwendete, der in Form eines CAMAC-Crates in die DO-960 eingebaut werden konnte, sowie ein High-End-System, das eine Data General NOVA als Digitalrechner verwendete. Nach eingehender Untersuchung des PC-Interface meiner DO-960 stellte sich heraus, dass es sich eigentlich um das NOVA-System handelte, wobei die NOVA wohl vor vielen Jahren durch einen PC ersetzt wurde. Nachdem sich glücklicherweise in den vielen Kisten, die ich mit der Maschine zusammen erhalten hatte, nach viel Stöbern und Sortieren alles fand, um ein komplettes CAMAC-System zusammen zu stellen, beschloss ich, die Maschine auf die CAMAC-Version umzurüsten, da diese auf jeden Fall einfacher wart- und reparierbar ist als der PC.

Zunächst entschied ich, das Gesamtsystem in einem einzigen Rack zusammen zu fassen (da das zweite Rack ohnehin im Analogteil unbestückt war, fiel diese Entscheidung leicht). Das erste Problem bei der Umsetzung dieses Umbaus war der zentrale Masseverteiler, an dem Dutzende von Massekabeln aus beiden Racks zusammenliefen - allein das Trennen der beiden Racks dauerte fast einen ganzen Tag.

Das nächste zu lösende Problem bestand darin, dass nahezu alle Verbindungen zwischen dem eigentlichen Analogrechner sowie dem Digitalteil (Steuersignale, Ein- und Ausgänge von AD- und DA-Wandlern etc.) offenbar schon vor Jahren entfernt und in Kartons eingelagert wurden - leider ohne Beschreibung oder Markierung, anhand derer die Zuordnung der Verbindungskabel zu den einzelnen Elementen möglich gewesen wäre. Herauszufinden, welche Baugruppe mit welchem Kabel mit welcher anderen Baugruppe verbunden werden musste, erforderte zwei weitere Tage (mittlerweile konnte ich das System teilweise schon ohne größeres Nachdenken demontieren und wieder zusammenbauen). Die nächste große Aufgabe bestand darin, den CAMAC-basierten Steuerrechner zusammen zu bauen und lauffähig zu machen.

Nachdem die Maschine nur noch aus einem Rack bestehen sollte, verfügte ich glücklicherweise über zwei CAMAC-Crates, von denen eines als Ersatzteilträger dienen konnte, was sich als Geschenk des Himmels erwies, da eines der extrem schweren CAMAC-Netzteile fehlerhaft war, so dass mir eine langwierige Fehlersuche im +6 V-Netzteil erspart blieb. Dies alles zusammen zu bauen und das fehlende Spezialkabel für die als Stromschleife umgesetzte serielle Schnittstelle zur Bedienkonsole zu löten, erforderte weitere zwei Tage, an deren Ende ich einen lauffähigen 8080-Rechner in einem CAMAC-Crate vor mir stehen hatte, der auch über den passenden ROM-Einschub verfügte, um als Steuerrechner für die DO-960 zu dienen.

Im nächsten Schritt musste nun der eigentliche Analogrechner funktionsfähig gemacht werden, was sich auch als unerwartet schwierig herausstellte. Einige Module waren gebrochen, es gab einen kleinen Backplanebrand in Folge eines Kurzschlusses in einer VG-Steckerleiste und ich verbrachte viel Zeit damit, einen Kurzschluss in der +/-10 V-Versorgung aufzuspüren (mehr dazu später).

Nach fast zwei Wochen war das System wieder einsatzfähig und konnte nach vielen Jahren erstmalig wieder erfolgreich ein einfaches Testproblem lösen. Die folgenden Bilder zeigen einige Impressionen des Systems und seiner Komponenten:


Dokumentation:


Die analogen Module:

Das Bild unten links zeigt die Frontansicht des Analogrechners, wobei bis auf eine alle Karten entfernt wurden. Der Kartenkäfig ist unglaublich tief, wie im Bild unten rechts zu sehen ist, wo man auch das eine verbliebene Modul sehen kann.

Das Bild unten links zeigt eines von bis zu sechszehn analogen Modulen, die in den Kartenkäfig gesteckt werden können. Auf der linken Seite finden sich die Kontakfedern, die hinter dem auswechselbaren Steckfeld enden und die Verschaltung der Module ermöglichen. Neben diesen befinden sich die Rechenverstärker, Begrenzer, einige Integriererkondensatoren etc. Auf der rechten Seite des Moduls befindet sich eine huckepack montierte Karte, welche die digitalen Koeffizientenpotentiometer enthält (siehe Abbildung unten rechts).

Das Bild unten links zeigt die Backplane des Analogrechnerteils der DO-960. Das Bild rechts zeigt den zentralen Massepunkt (einige Masseleitungen sind in diesem Bild noch nicht wieder angeschlossen).

Unten links sind die Präzisionskondensatoren der Integrierer zu sehen. Das Bild rechts zeigt die Stromversorgung des Analogrechners.

Neben den bereits erwähnten digitalen Potentiometern verfügt das System über 16 Handpotentiometer, die im Bild unten links zu sehen sind. Das Bild rechts zeigt die Rückansicht des Gesamtsystems mit dem CAMAC-Controller und den Verbindungsleitungen zwischen dem Analog- und Digitalteil.

Das zentrale Bedienterminal der DO-960 ist im Bild unten links zu sehen - bemerkenswert sind die beiden mehrstelligen Siebensegmentanzeigen auf der rechten Seite, mit deren Hilfe zum einen die Adresse eines angewählten Elements sowie der Wert seiner Ausgangsspannung angezeigt werden. Das unten rechts stehende Bild zeigt die Anschlüsse dieses Temrinals.

Eines der gemeinsten Probleme während des Zusammenbaus des Systems war ein immer nur kurzzeitig auftretender Kurzschluss in der +/-10 V-Stromversorgung des Analogrechners. Nach vielen Stunden erfolgloser Fehlersuche konnte ich mit einer Lupe ein kleines Stückchen Lötzinn entdecken, das einen Kurzschluss zwischen den beiden Stromschienen für +10 V und -10 V hervorrief - allerdings nur sporadisch.


Der Digitalteil:

Die untenstehenden Bilder zeigen den CAMAC-Controller (von Dornier als MACAMAC bezeichnet):

Die Karte mit den EPROMS, die den (recht komfortablen) BASIC-Interpreter sowie das Betriebssystem dieses Rechners beinhalten, ist in den Bildern unten zu sehen. (Ich suche übrigens vergleichsweise händeringend und verzweifelt einen EPROM-Brenner, mit dem ich 2708-EPROMs auslesen und kopieren kann, da die gezeigten EPROMs nun bereits über 20 Jahre alt sind und die DO-960 ohne ihren Digitalteil nicht betriebsfähig ist, was mehr als schade wäre.)

Ein interessantes und mir zuvor unbekanntes Gerät ist der unten abgebildete CAMAC-Busmonitor, der eine Art einfachen Logikanalysator darstellt und Statusinformationen des CAMAC-Busses, die Zustände der Daten- und Adressleitungen etc. anzeigen kann. Darüber hinaus können mit seiner Hilfe auch Interrupts ausgelöst werden.

Die Verbindung mit dem eigentlichen Analogrechner erfolgt mit Hilfe eine Reihe von AD- und DA-Wandlern, die aus dem BASIC-Interpreter heraus über einfache Funktionsaufrufe ausgelesen beziehungsweise gesetzt werden können. Die beiden untenstehenden Bilder zeigen einen solchen AD-Wandler:

Einer der DA-Wandler ist in den beiden folgenden Bildern dargestellt:

Die beiden folgenden Bilder zeigen das extrem gewichtige Netzteil des CAMAC-Crates. Das Netzteil ist vollständig linear geregelt und entsprechend schwer. Es ist dermassen schwer, dass ein Warnschild auf dem CAMAC-Crate darauf hinweist, dass das Crate keinesfalls mit installiertem Netzteil bewegt oder transportiert werden darf, da es das Gewicht nicht trägt! (Abgesehen davon, dass wohl kaum jemand das Crate mit installiertem Netzteil tragen könnte. :-) )

Die Abbildung unten rechts zeigt den CAMAC-Rahmen mit minimaler Bestückung, wie ich ihn für die ersten Testläufe zusammengebaut hatte. Das Bild rechts zeigt den vollbestückten CAMAC-Rahmen mit Verkabelung in seinem natürlichen Habitat, d.h. in der DO-960 montiert.


Eine der ersten Rechungen:

Eine der ersten Testrechnungen, die ich mit dem System durchgeführt hatte (sieht man von einem einfachen harmonischen Oszillator einmal ab), war ein springender Ball ohne Reibung und Dämpfung. Das Bild unten links zeigt das gepatchte Steckfeld (programmiert wurde es von meinem Freund Ingo Klöckl, als er ein Wochenende zu Besuch kam - ein Wochenende, an dem wir fast rund um die Uhr Analogrechner programmiert hatten - einfach wundervoll! :-) ). Das Programm, d.h. die zugrunde liegende Differentialgleichung, ist auf dem Blatt Papier rechts oben zu sehen. Das Bild unten links zeigt das Steckfeld an der DO-960 während der Rechnung (mit Dokumentation :-) ).

Das Bild unten zeigt die Bahnkurve des springenden Balles, die mit obigem Programm erzeugt wurde. Im nächsten Schritt könnten nun Reibung beziehungsweise Dämpfung berücksichtigt werden, um das Ganze am Ende vielleicht zu einem Tennis-for-two auszubauen. :-)

 

 

ulmann@analogmuseum.org

19-DEC-2005, 26-JAN-2008, 29-DEC-2009