Simulation einer Automobilfederung

 

Wie simuliert man eine Automobilfederung?

Analogrechner sind ideal dafür geeignet, komplexe mechanische Systeme, die beispielsweise mehrere miteinander gekoppelte Massen beinhalten und durch gekoppelte Differentialgleichungen beschrieben werden können, zu simulieren.

Vor einigen Jahren fand ich die folgende Abbildung in einer alten deutschen Zeitschrift namens "Hobby", Ausgabe 6, 1965:

Diese Bild zeigt die Simulation eines (vereinfachten, d.h. nur zwei anstelle von der gekoppelten Massen beinhaltenden) Automobilfederungssystems mit Hilfe eines Telefunken RAT 700 Tischanalogrechners. Diese Simulation wurde von Herrn Dr. Giloi als Demonstrationsbeispiel entwickelt, um das damals neue Rechnersystem auf der Hannover Messe vorzustellen. Seinerzeit war eine solche Vorführung etwas aussergewöhnliches - Digitalrechner dieser Zeit hatten bei weitem nicht die notwendige Rechenleistung, um eine solche Aufgabe in Echtzeit zu erfüllen (ganz abgesehen davon, dass die RAT 700 ein wirklich kleines Tischrechnersystem mit nur 15 Operationsverstärkern war).

Heute entschloss ich mich, eine solche Simulation mit einem meiner Telefunken Analogrechner umzusetzen (verwendet wurde eine RA 741, die glücklicherweise etwas mehr Operationsverstärker als das damals verwendete System besitzt, bei dem Dr. Giloi einen kleinen Trick anwenden musste, wie er mit mitteilte - die Silhoutte des Autos wurde damals mit Hilfe einer eigens entwickelten Steckkarte generiert, die in einen der verfügbaren freien Steckplätze der RAT 700 platziert wurde, wodurch zwei Operationsverstärker für die eigentliche Simulation frei wurden, die sonst für einen Funktionsgenerator benötigt worden wären).

Die folgende Abbildung zeigt den Aufbau meines Simulationssystems - nicht alle dargestellten Geräte wurden hierfür verwendet. Der Analogrechner RA 741 ist auf der linken Seite zu sehen - das gesteckte Programm erzeugt das Bild der Fahrzeugkarosserie sowie zweier Räder. Darüberhinaus wird das Zweimassenschwingungssystem hiermit simuliert. Das Rack in der Bildmitte trägt oben zwei Oszilloskope, von denen das rechte, ein HP-180, als Ausgabegerät für den Vierkanal-X/Y-Oszilloskopmultiplexer benötigt wird (zweiter Einschub von oben). Weiterhin benötigt die Simulation eine Rauschquelle zur Simulation einer holprigen Straße, wofür ein Wandel und Goltermann RG-1 Rauschgenerator in Verbindung mit meinem Selbstbautiefpassfilter verwendet wird.

Das Bild links zeigt das mechanische System, das als Grundlage für die Herleitung der Differentialgleichungen diente, mit deren Hilfe der zu simulierende Zweimassenschwinger beschrieben wird.

Die Masse m1 repräsentiert die Karosserie, die mit den Rädern (Masse m2) über eine Feder s1 sowie einen Dämpfer d verbunden ist. Die Räder sind wiederum über eine Feder s2 mit der Straße gekoppelt, welche die Elastizität der Reifen repräsentiert.

Dieses mechanische System kann durch die beiden folgenden gekoppelten Differentialgleichungen beschrieben werden (zu beachten ist hier, dass Bewegungen der Karosserie auch auf die Radsätze rückwirken).

Umsortieren der Gleichungen führt zu

, wodurch das Verhalten der Karosserie beschrieben wird, und
, wodurch das etwas komplexere Verhalten der Radsätze beschrieben wird. f(t) bezeichnet hier die stochastische Funktion, welche die Straßenunebenheiten simuliert.

Mit Hilfe der Kelvinschen Rückführungsmethode ergeben sich die beiden folgenden Teilrechenschaltungen:

für die erste Gleichung und
für die zweite. Beide Teilrechenschaltungen sind stark miteinander verwoben (beispielsweise durch den Term y2-y1, der in der ersten Teilrechenschaltung erzeugt und in der zweiten verwendet wird). Der einzige Eingabewert für diese Schaltungen ist die Störfunktion f(t). Jede dieser Schaltungen erzeugt einen y-Wert für die Karosserie beziehungsweise den Radsatz, mit deren Hilfe das Fahrzeug auf dem Oszilloskop dargestellt werden kann.

Zur Erzeugung eines stehenden Bildes auf dem Oszilloskop wird ein stabiles, hochfrequentes sin-/cos-Signalpaar benötigt, das ganz traditionell durch Lösen der Differentialgleichung y''=-y erzeugt wird (zur Stabilisierung wurde hier eine positive Rückführung sowie ein Paar Zenerdioden zur Amplitudenstabilisierung vorgesehen).

Die Ausgangssignale dieses Generators werden verwendet, um die Räder darzustellen, deren Auslenkung in y-Richtung durch einen Summierer implementiert wird (y2). Entsprechend wird die Karosserie gezeichnet, deren y-Auslenkung y1 entspricht.

Um eine hübsche Karosserie darzustellen, wurde ein Diodenfunktionsgenerator verwendet, um eine Ellipse entsprechend zu verformen. Die Teilrechenschaltung zur Darstellung der Räder sowie der Karosserie ist unten abgebildet.

Die Gesamtschaltung zeigt das untenstehende Bild (mein Dank gebührt hier meiner Frau Rikka, die sich die Mühe gemacht hat, die Zeichnung mit xfig zu erstellen).

Das Bild zur Linken zeigt das Gesamtprogramm der Automobilsimulation. Gut zu erkennen ist, dass die RA 741 nur knapp ausreichend viele Operationsverstärker für ein Programm dieser Größe besitzt. Alles in allem wurden sechs Integrierer, neun Summierer, ein Funktionsgenerator sowie zwei freie Verstärker (für den Funktionsgenerator) benötigt.

Unten finden sich drei kurze Filmsequenzen im AVI-Format. Die linke gibt einen kurzen Eindruck des Gesamtaufbaus (das etwas nervtötende Summen im Hintergrund kommt von den mechanischen Zerhackern der Operationsverstärker des Analogrechners) (etwa 11 MB).

Der folgende Video-Clip zeigt das Simulationsergebnis für ein Auto mit starker Dämpfung (etwa 3.5 MB).

Da ich früher einen wundervollen Chevrolet Caprice Classiv fuhr, als ich noch an der Universität Mainz Mathematik studierte, fertigte ich noch einen zweiten Simulationslauf an, der ein Automobil mit sehr weicher Dämpfung zeigt, wie sie dieser Wagen auch hatte (was natürlich stark übertrieben ist :-) ).

 

 

ulmann@analogmuseum.org

11-FEB-2007, 16-FEB-2007, 26-JAN-2008, 22-DEC-2008